Titelgeschichte Die Honigmacherin Für ein Glas Honig fliegen ihre Bienen rund 40.000 Mal aus, das entspricht einer Strecke von 120.000 Kilometern. Nicht ganz so weit radelt Hobby-Imkerin Karin Özbi- len, wenn sie das fertige Produkt per Fahrrad zu ihren Kunden bringt – ganz nach dem Motto „Regional, ökologisch, direkt“. Behutsam hebt Karin Özbilen den Deckel der Kiste an. Drinnen wimmelt, krabbelt und summt es. „Dabei ist ein Viertel der Bienen noch nicht mal im Stock, weil diese zum Pollen- und Nektarsammeln ausgeflogen sind“, erklärt die leidenschaftliche Imkerin. Jetzt, im Juni, herrscht in der Honigfabrik Hochkonjunktur. Bis zu 45.000 Bienen tummeln sich dann mitunter im Stock; im Winter sind es gerade mal 5.000. Aber mit den ersten warmen Tagen im März und April kommt Leben in die Völker. Dann besucht Karin Öz- bilen ihre Bienen einmal pro Woche auf der Wiese eines alten Gehöfts nahe Reilingen. „Ich schaue etwa, ob die Königin da ist und Eier legt und ob die Kolo- nie gesund ist und genug Platz hat. Mit fortschrei- tender Brut- und Blütezeit kann es nämlich eng wer- den im Stock“, erzählt die gelernte PTA und Mutter von zwei Kindern. 2010 begann sie mit der Imkerei – und setzte sozusagen eine Familientradition fort: Schon ihre Onkel und der Großvater waren begeis- terte Hobby-Imker. Eine Königin nimmt Reißaus Ein Schlüsseldatum für die Imkerin ist die Kirschblü- te. Dann ist es höchste Zeit, eine Kiste mit eingehäng- ten Holzrahmen, den Honigraum, auf den Bienen- stock zu setzen. In diese Rahmen weben die Bienen ihre Waben, die am Ende die süße Ernte beherbergen. Je wärmer die Tage und je voller die Blüten, desto aktiver die Bienen. Gerade im Juni scheint der Stock aus allen Nähten zu platzen. Es ist Schwarmzeit. Doch nicht der Nachwuchs sucht das Weite, sondern die alte Königin. Mit ihrem Gefolge hält sie Ausschau nach einem neuen Zuhause, etwa im angrenzenden Wald oder im Obstbaum nebenan. „Wenn mir je- mand Bescheid gibt, schnappe ich mir dann manch- mal eine Kiste und sammle den Schwarm ein. So bin ich zu meinen sechs Stöcken gekommen“, sagt Özbi- len und lacht. In der warmen Sonne veranstalten die Bienen ein wahres Summkonzert, sie sind wortwört- lich aus dem Häuschen: Ständig fliegen Arbeiterinnen ein und aus. Karin Özbilen vermeidet es jetzt, sich in der Einflugschneise aufzuhalten. Sie bewegt sich ruhig und trägt immer Schleier und Handschuhe, wenn sie zu den Stöcken geht, „Nicht weil das gefährlich ist, sondern als reine Vorsichtsmaßnahme“, sagt sie. „Falls ich es mit einem lebhaften Volk zu tun habe, kann die eine oder andere Biene schon mal pfeil- schnell angezischt kommen.“ Vom Stock fernhalten sollte man sich, wenn ein Gewitter naht. Dann herrscht große Nervosität im Volk, und es ist besser, nicht noch zusätzlich für Unruhe zu sorgen. 20 Kilogramm goldgelbes Glück Karin Özbilen verbringt gerne Zeit damit, ihre Bie- nen zu beobachten. Das und der enge Bezug zur Natur machen die Imkerei für sie so liebenswert. Sie kennt die Pflanzen, auf die ihre Bienen fliegen, weiß, wann sie blühen. Je nach Blüte- und Erntezeit schmeckt der Honig anders. „Selbst direkt neben- einanderstehende Bienenstöcke bringen Honige mit ganz eigenen Geschmacksnoten hervor“, berichtet sie. Im Schnitt erntet sie zweimal im Jahr: Ende Mai oder Anfang Juni und nochmals im Juli. Der schönste Moment, schwärmt Özbilen, sei der, in dem die süße Leckerei aus der Schleuder in die Glä- ser läuft. Ein Stock kann, sofern er nicht ganz jung ist, bis zu 20 Kilogramm Honig bringen. Das ist mehr als genug und viel zu viel für den Eigenbedarf, auch wenn alle in der Familie leidenschaftlich gerne Ho- nig essen. Doch vor allem, weil ihr ein naturnaher Umgang mit den Bienen wichtig ist, entnimmt Öz- bilen nie die gesamte Ernte, eine gewisse Menge dient den Tieren als Futter für den Winter. Den Rest verkauft sie. Und wer das Glück hat, in Reilingen zu wohnen, den beliefert sie sogar frei Haus – per Fahr- rad. „Das Projekt Honigfahrrad hilft kleinen Imkern und ist regional und ökologisch. Davon haben alle was“, sagt sie und ergänzt schmunzelnd: „Kleiner Tipp: Bestellen Sie rechtzeitig, es gab schon Zeiten, da hatte ich aufgrund der hohen Nachfrage sogar für meine Familie keinen Honig mehr.“ Und darauf ist Karin Özbilen auch ein bisschen stolz. Kein Honig mehr da? Nachschub bringt das Ho- nigfahrrad – ein Zusam- menschluss von Imkern, die ihre Kunden direkt und ohne Lieferkosten mit Ho- nig versorgen. Mittlerweile haben sich der Idee von Karin Özbilen, Matthias Schlörholz und Günther Martin rund 20 Imker an- geschlossen. www.honigfahrrad.de reilingen.honigfahr- rad.de Lust auf Bienen? Immer mehr Menschen ent- decken die Imkerei als Hob- by, und das ist gut so. Denn die Europäische Honigbiene kann heute als Population nicht ohne Imker überle- ben. Bevor Sie jedoch mit der Imkerei beginnen, soll- ten Sie sich umfassend in- formieren oder an einer Ausbildung der Imkerver- bände teilnehmen. Und auch als Nicht-Imker können Sie Bienen helfen: • Kaufen Sie regionalen • Lassen Sie in Ihrem Gar- Honig. ten Obstbäume, Frucht- büsche und ungefüllte Blumensorten wie Gän- seblümchen, Lavendel, Kornelkirsche oder Phacelia wachsen. Weiterführende Links www.bienenkiste.de www.die- honigmacher.de www.greenpeace.de/ bienen hin hin weg weg 9 9 undund