Titelgeschichte Ganz nah dran Haben Sie schon mal einem Bartkauz in die Augen geschaut? Oder einem Wolf? Im Wildpark Bad Mergentheim können Besucher Tiere mit etwas Glück ganz unmittelbar erleben, viel Spannendes über sie erfahren und sich zudem prächtig erholen. In der Ferne donnert es. Plötzlich, als wolle das Rudel dem nahenden Gewitter antworten, fängt ein Wolf nach dem anderen an zu heulen. Das Ganze dauert nur etwa eine Minute, dann ver- stummen die Tiere nach und nach wieder. Doch das Geräusch – so wild, so vertraut und fremd zugleich – hallt noch lange nach. Es ist nicht der einzige beeindruckende Mo- ment dieses Tages. Schließlich gibt es da ja noch den tapsigen Wolfswelpen, der sich kurz aus der Höhle wagt. Oder die beiden streitenden Braunbär-Damen nur ein paar Meter entfernt. Die Elchzwillinge, die im Schatten der großen Eichen neben ihrer Mama dösen; den Bartkauz, der so nah ist, dass man ihn glatt berühren könnte; den Fischotter im Wasser, den Waldrapp-Nachwuchs und, und, und. Natürlich nachhaltig Vertreter von mehr als 70 europäischen Wild- und Haustierarten leben in diesem Park, der 1974 als Ableger des Freizeitparks Geiselwind entstand. Die einzigen Exoten: Flughunde und Waschbären. Alle wirken entspannt – vom Kaninchen übers Rotwild bis zu den Wildkatzen. Hinter dieser Leichtigkeit des Seins stecken ein klares Konzept sowie viel Leiden- schaft und Arbeit. Geprägt hat die Art, wie sich Tier und Mensch hier begegnen, der erste Parkleiter Rolf Rügamer. „Mein Vater wollte andere mit seiner Be- geisterung für die Natur anstecken und einen Ort schaffen, an dem sich alle wohlfühlen“, erzählt Mar- cus Rügamer. Als der Park 1988 zum Verkauf stand, machten die Rügamers ihn zum Familienbetrieb. Seit dem Tod ihres Vaters leiten Marcus, Stefan und Ruth die Geschäfte – und setzen wie er alles daran, Besu- chern die Vielfalt der Natur nahezubringen. Entsprechend artgerecht und naturnah sind die Gehege gestaltet. Wo möglich, trennen nur Holz- zäune oder Gräben Bewohner und Besucher, einige Anlagen sind begehbar. So entsteht Nähe, obwohl die Reviere so groß sind, dass sich die Tiere jederzeit zurückziehen können. „Manchmal braucht man et- was Geduld und Glück, um sie zu sehen. Da geht’s uns nicht anders als den Besuchern“, erklärt Sandra Hertweck, Leiterin der Tierpfl ege. „Und das ist so gewollt. Wir füttern die Tiere, schauen, ob es ihnen gut geht, holen im Notfall den Tierarzt. Ansonsten halten wir Abstand, damit sie sich ihre Scheu bewah- ren.“ Doch natürlich kennen die Pfl eger ihre rund 500 Schützlinge genau und teilen ihr Wissen gern – im Gespräch, bei Vorführungen mit den Arbeitstieren oder Fütterungen. „Manchmal gelingt es uns sogar, Ängste zu zerstreuen, indem wir Dinge erklären“, berichtet Sandra Hertweck. „Etwa, dass es viel wahr- scheinlicher ist, im Wald einem Wildschwein zu be- gegnen als einem Wolf. Und viel gefährlicher, wenn es sich etwa um eine Bache mit Nachwuchs handelt.“ Bildung mit Spaßfaktor Durch Wissen und Erleben begeistern – diese Art von Umweltbildung wird im Park großgeschrieben. Ste- fan Rügamer ist Pädagoge, er leitet das parkeigene Erzieherteam. Im Waldkindergarten und bei WiPaKi, (WildParkKinder) können Kinder ihre Umwelt spie- lerisch entdecken, und in der Koboldburg, dem rie- sigen Abenteuerspielplatz mitten im Park, toben und sogar übernachten. Auch für Erwachsene gibt es spannende Angebote – vom Bogenschießen bis zum „Heulen mit den Wölfen“. Ebenso präsent ist das Thema Nachhaltigkeit: Als Schreiner legt Marcus Rügamer Wert auf natür- liche und regionale Baumaterialien, auch viele der in der Gastronomie angebotenen Speisen und Getränke stammen aus der Region. Immer wieder lassen sich die Geschwister etwas Neues einfallen. Das meiste davon kann das Team sogar selbst umsetzen, immer- hin arbeiten 42 Festangestellte und Auszubildende sowie ebenso viele Teilzeitkräfte in der Tier- und der Parkpfl ege, der Bauabteilung, der Gastronomie, im Büro. „Eine große Familie“, wie Rügamer sagt. Da- ran hat auch die Corona-Krise nichts geändert, ob- wohl der Park für zwei Monate schließen musste. „Wir hatten zwar genug zu tun, aber wirtschaftlich war das eine harte Zeit“, sagt Rügamer. „Ohne die tolle Unterstützung unserer Mitarbeiter und vieler privater Spender hätten wir es vielleicht nicht ge- schafft.“ Doch seit Mai dürfen wieder Besucher über das Gelände schlendern. Mit etwas Glück können auch sie einem Kauz in die Augen schauen oder den Wölfen lauschen – und dabei hautnah erleben, wie schützenswert die wilden Bewohner Europas sind. Abenteuer Wildtierpark Jährlich besuchen rund 200.000 Menschen den rund 35 Hektar großen Wildpark. Vor allem, um Tieren, die man sonst so nicht zu Gesicht bekommt, einmal ganz nah zu sein. Ebenso gut lässt es sich hier aber auch spielen, feiern, erholen, lernen – und sogar übernachten. www.wildtierpark.de Ab Bahnhof Bad Mer- gentheim vom 1. Mai bis 31. Oktober mit der Buslinie 955 bis Bad Mergentheim Wildpark Aktuelle Einlasszeiten Momentan darf nur eine begrenzte Zahl an Besu- chern eingelassen werden, und zwar von 9 bis 12.30 Uhr, von 13 bis 16.30 Uhr und an Sonn- und Feiertagen zusätzlich von 16 bis 19.30 Uhr. Der Park schließt um 21 Uhr. Alle, die morgens kommen, können natürlich den gan- zen Tag bleiben. Die Tickets ab 13,10 Euro gibt es nur online unter www.wildtierpark. reservix.de Keine generelle Masken- pfl icht, nur in den sani- tären Anlagen und beim Anstehen. hin und weg 9